Ueberland-Hilfeleistung einer Büssing-Motorspritze
Das letzte Großfeuer, von dem die Akten der Seesener Wehr vor Kriegsausbruch melden, brach am 15. September 1913 in der Langen Straße in der Tischlerwerkstatt von Hermann Garbe aus.
"Trotz energischen Eingreifens der Wehr", so heißt es in dem Protokoll, "konnte leider nicht verhindert werden, daß die Hintergebäude von Heinrich Ternedde, Witwe Reinecke, L. Witte und O. Penzke sowie sämtlichie Gebäude von H. Garbe, Aug. Frohne und Chr. Hartmann sowie ein Teil der Hintergebäude von Arnemann und Möckel vom Feuer zerstört wurden". Zum Ablöschen der glimmenden Trümmer wurde erstmalig eine Automobil-Benzinmotorspritze aus Braunschweig herbeigeordert.
Am 15. September war von 8 ½ Uhr morgens an mit einer neuen, mit 55 PS-Motor und 2000 Liter-Pumpe ausgerüsteten Motorspritze seitens der Firma H. Büssing in Braunschweig ein Dauerpumpversuch an der Oker vorgenommen worden, dem gegen Mittag auch Herr Branddirektor Lehmann, Braunschweig, beiwohnte. Gegen 1 Uhr wurde Herr Branddirektor Lehmann auf privatem Wege telephonisch von dem Ausbruch eines Grossfeuers in Seesen benachrichtigt. Der die Versuche leitende Ingenieur, Herr Dipl. Ing. Hüpeden, brach auf diese Mitteilung hin die Probe sofort ab und erklärte sich bereit, mit dem Fahrzeug nach Seesen zu fahren. Nachdem noch auf halbem Wege zur Fabrik 2 telephonisch bestellte Kannen Benzol übernommen waren, wurde um 105 Uhr in Begleitung des inzwischen eingetroffenen Volontär-Brandmeisters, Herrn Dipl. Ing. Karstens, die Fahrt nach Seesen angetreten.
Gleich nach der Abfahrt setzte ein heftiger Gegenwind ein und es begann in Strömen zu regnen. Die Entfernung Braunschweig - Seesen beträgt nach dem Continental-Handbuch 53,8 km, der bergauf zu überwindende Höhenunterschied 140 m. Die tatsächlich gefahrene Strecke kann unter Berücksichtigung des Vorsprungs durch die Lage der Abfahrtstelle mit 53 km angenommen werden. Die Strasse war gut, aber durch den Regen teilweise aufgeweicht. Auf der Hinfahrt wurde, abgesehen von einem kurzen Aufenthalt vor einer geschlossenen Schranke, ohne Unterbrechung und ohne Verminderung der Geschwindigkeit in Ortschaften gefahren. Als Signal musste eine einfache Trillerpfeife benutzt werden, da das Fahrzeug noch nicht mit einem mechanischen Signalinstrument ausgerüstet war und die gewöhnliche Hupe nicht beachtet wurde. Um 2145 Uhr traf die Motorspritze in Seesen ein.
Hier erfuhr man, dass das Feuer bereits früh um ½ 6 Uhr ausgebrochen und inzwischen zum Stehen gebracht war. Bei Besichtigung der Brandstelle wurde aber festgestellt, dass mit der Pumpe beim Ablöschen noch gute Dienste geleistet werden konnten. Daraufhin wurde in einen Einsteigeschacht des städtischen Abwasserkanals eine 4 ½ m lange Saugeleitung gelegt und der Ablauf im Schacht durch Bretter abgedeckt. Um 255 Uhr wurde aus zwei Rohren Wasser gegeben. Nachdem noch dem ausserordentlich schmutzigen Wasser durch Umgeben des Saugekorbes mit einem Weidengeflecht Rechnung getragen war, wurde bis 505 Uhr gearbeitet.
Auf der ganzen Hinfahrt brauchte nur einmal nach dem Halten vor der Schranke geschaltet zu werden, sonst wurde dauernd mit dem 4. Gang gefahren. Die Rückfahrt wurde bei Dunkelheit in einer Fahrzeit von 1 Std. 48 Min. zurückgelegt. Dabei musste abermals vor einem Bahnübergang einige Minuten wegen geschlossener Schranke gehalten werden. Als Brennstoff wurde Benzol von 0,863 spez. Gewicht verwendet, und zwar wurden auf jeder Fahrt 10,5 kg und auf der Brandstelle 35,5 kg verbraucht. Auf der Hinfahrt wurde mit 1 Std. 40 Min. Fahrzeit eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 31,8 km Std., auf der Rückfahrt mit 1 Std. 48 Min. Fahrzeit 30 km Std. erzielt.
Auf der Rückfahrt bewährte sich die elektrische Lichtanlage (Lichtdynamo und kleine Aushilfsbatterie) ausgezeichnet. Die Scheinwerfer waren selbst für hohe Geschwindigkeiten durchaus hell genug. Die Spritzwand-Beleuchtung und die einzelne Ausschaltbarkeit der Lampengruppen wurden besonders angenehm empfunden.
Die Fahrt hat gezeigt, dass es selbst mit diesem schweren, gar nicht speziell für Ueberlandfahrten gebauten Fahrzeug möglich war, über eine ungewöhnlich weite Strecke genügend schnell Hilfe zu leisten, wobei allerdings die „doppelte Abfederung“ besonders gute Dienste leistete, und dass es Fälle geben kann, wo ein Eingreifen einer Motorspritze selbst 2 Stunden nach Ausbruch des Brandes noch von Wert sein kann. So wurden bei dem Brande in Seesen, der ½ 6 Uhr früh ausgebrochen war, noch um ½ 11 Uhr bis dahin verschont gebliebene Gebäude vom Feuer ergriffen.